Es gibt mehr als eine Frau: Performances von [weiblichkeit] in den darstellenden Künsten
Berichterstattung von Anne Höhn
Am 20. Januar dieses Jahres fand das Symposium Performances von [weiblichkeit] in den darstellenden Künsten an der Universität der Künste Berlin statt. Organisiert haben die Veranstaltung Anna Bergel, wissenschaftlich-künstlerische Mitarbeiterin am Studiengang Bühnenbild, Jeanne Louët, Masterstudentin im Studiengang Bühnenbild an der UdK und nebenberufliche Frauenbeauftragte, sowie Klothilde Habrant, die im Bachelor Bühnenbild studiert. Am Ende des sechsstündigen Programms steht fest: Das Bewusstsein für strukturelle Diskriminierung von Frauen in der Branche Darstellende Kunst wächst und der Wunsch nach Veränderung ist groß.
Klug, informativ und unterhaltsam war das Programm der diesjährigen Veranstaltung „Performances von [weiblichkeit] in den darstellenden Künsten”, auch, wenn viele der behandelten Themen, die Gender Pay Gap, die Unterschätzung von weiblicher Leistung und die strukturelle Diskriminierung von Frauen in den darstellenden Künsten, alles andere als erheiternd sind.
Diskriminierung schwarz auf weiß
Zu Beginn des Symposiums füllen sich die Stuhlreihen im Vortragsraum nur zögerlich. Nur ein Dutzend Frauen ist anwesend an diesem Samstagmorgen. Nach kurzer Verzögerung macht Dr. Cornelie Kunkat, Referentin für „Frauen in Kultur und Medien“ beim Deutschen Kulturrat, den Auftakt. Kunkats Job wird es bis 2020 sein den Diskurs zur Geschlechtergerechtigkeit zu unterstützen und konkrete Maßnahmen zur Verbresserung zu entwerfen. Ihre Stelle wurde aufgrund der Ergebnisse der 2016 durchgeführten Studie „Frauen in Kultur und Medien“ geschaffen. In Auftrag gegeben hat das 496 Seiten schlanke Papier Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Die Studie stellt Fragen in den Mittelpunkt, die im Kultur- und Medienbetrieb bisher gerne unbeantwortet blieben: Wie viele Frauen studieren und arbeiten in künstlerischen Fächern und was verdienen sie? Sind sie in führender Position? Wie steht es um die Geschlechtergerechtigkeit im Kultur- und Medienbetrieb?
Wie schlecht es um die Stellung der Frau in der Branche der darstellenden Künste bestellt ist, präsentiert Cornelie Kunkat den Besucher*innen anhand erwähnter Studie schwarz auf weiß. Souverän führt sie in ihrer Präsentation durch die ellenlangen Tabellen, die nahezu alle zu ein und demselben Ergebnis kommen: Wo immer Frauen mit Männern im Bereich darstellende Künste, Film, Fernsehen und Theater konkurrieren, werden sie benachteiligt. Das beginnt schon während der universitären Ausbildung. Gut 63 Prozent der Studierenden sind weiblich, im Gegensatz dazu nur 39 Prozent der Lehrenden. An positiven Vorbildern für junge Frauen in puncto gerechtes Geschlechterverhältnis fehlt es also von Anbeginn des Studiums. Ein noch geringerer Prozentsatz der Absolvent*innen arbeitet im Verlauf der Karriere in Führungspositionen. Besonders gut lässt sich das im Theaterbetrieb beobachten: Zwar sind hier 43 Prozent des Personals weiblich – aber auf welchem Posten? 22 Prozent der Bühnenleitungen sind in weiblicher Hand, 30 Prozent der Regie und Spielleitung. Souffleusen hingegen werden zu 80 Prozent von Frauen besetzt. Kunkat fasst zusammen, was die Zahlen belegen: Frauen sind in nahezu allen Häusern Deutschlands auf den weniger prestigeträchtigen, verantwortungsvollen Posten. Und selbst, wenn sie es bis dorthin geschafft haben sollten, werden sie schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Bis auf Theaterpädagog*innen zieht sich die Gender Pay Gap durch alle Gewerke. Beim Schauspiel ermittelt die Studie die frappierende Zahl von 46 Prozent Gehaltsunterschied im durchschnittlichen Jahreseinkommen. Sprich: Schauspieler*innen bekommen nur gut die Hälfte des Gehaltes ihrer männlichen Kollegen. Die 21-prozentige Gender Pay Gap, die das Statistische Bundesamt 2016 berufsübergreifend ermittelt hat, wirkt dagegen fast lächerlich klein. Die Gründe für den Gehaltsunterschied sind vielfältig. Einer davon ist, dass es, gemessen an der Masse gut ausgebildeter Schauspieler*innen, nur wenige weibliche Rollen und noch weniger Hauptrollen gibt. Frauen ab vierzig verschwinden quasi ganz vom Bildschirm oder der Bühne. Wer dort erscheint ist in der Regel jung und schön. Diese Ausschlussmechanismen schaffen wiederum eine Struktur, in denen die Schauspieler*innen hochgradig von den führenden Regisseuren und anderen Entscheidungsträgern abhängig sind. Und das sind meistens Männer. Dass dies wiederum Machtmissbrauch, beispielsweise in Form von sexueller Gewalt, Vorschub leisten kann, beweist der Fall des Regisseurs Dieter Wedel. Wedel wird von mehreren Schauspieler*innen vorgeworfen, er habe sie sexuell belästigt. Die betroffenen Frauen schwiegen oft jahrelang, zu sehr fürchteten sie Macht und Einfluss Dieter Wedels, der ihnen drohte, ihre Karriere zu beenden, sollten sie mit irgendjemandem über das Geschehene sprechen.
Liegt der Fehler bei mir?
Von struktureller Ungleichbehandlung können die Regisseurin France-Elena Damian und Janina Benduski, Produktionsleiterin und Vorsitzende des Bundesverbands Freie Darstellende Künste, ein Lied singen. Als France-Elena Damian sich an der renommierten „Ernst Busch“ Hochschule für Schauspielkunst beworben hat, wurden vier männlichen Bewerber nach den Prüfungen sofort aufgenommen, ihre Mitanwärterin und sie mussten zwei weitere Prüfungen absolvieren, bevor sie angenommen wurden. Also „zwei mal noch beweisen müssen, dass man Talent hat”, wie es Damian im Gespräch mit Moderatorin Anna Volkland formuliert. Erst nach und nach wird der Regieabsolventin klar, dass es nicht reicht, einfach hart zu arbeiten, und dann stellt sich der Erfolg von alleine ein. “Das ist ein Märchen. Und wenn man dann nicht auf der Bühne ist, nicht in den Feuilletons vorkommt, dann existiert man quasi nicht. Man ist einfach nicht präsent.” Diese Realität, die France-Elena Damian in persönlichen Anekdoten schildert, gießt der Bundesverband freie darstellende Künste in einen griffigen Satz. In seinem Leitbild weist der Verband darauf hin, dass die ungleichen Karrierechancen für Frauen nur teilweise damit zusammenhängen, dass Familienplanung und Karriere bei Frauen parallele laufen. Vielmehr ist das „auf die tendenziell vorhandene Überschätzung von Männern durch Männer wie Frauen und die tendenziell vorhandene Unterschätzung von Frauen durch Männer wie Frauen zurückzuführen […].” Janina Benduski, die dem BFDK vorsitzt, sieht in einer Quotenregelung „die Möglichkeit, eine Struktur anzugreifen, die immer wieder Benachteiligung produziert.“ France-Elena Damian teilt diese Meinung und hat als eine Konsequenz aus ihren Erlebnissen im Oktober 2017 den Verein Pro QuoteBühne mit gegründet. Die Forderung: 50 Prozent Regisseurinnen auf den großen Bühnen, als Hausregisseurinnen und in der Intendanz. Die Theater reagierten auf diesen Vorschlag verhalten: Gerade einmal ein Prozent, also zwei, drei der angeschriebenen Häuser, reagierten auf den Vorschlag von Pro QuoteBühne über eine gemeinsame Zusammenarbeit. Oft stehe ein unausgesprochenes Argument gegen die Quote im Raum: Frauen sollten sich einfach auf die vakanten Stelle bewerben, wenn sie sie wollten. Kämen sie nur via Quote auf eine Position, hätten sie die Stelle nicht verdient. Das ignoriert die Realität, wie sie die Studie von Grütters zeigt: Frauen und Männer werden bei gleicher Voraussetzung ungleich behandelt. Besonders ausfällig sei das bei Women of Colour, berichtet eine Theatergruppe mit intersektionalem Ansatz im Publikum. „Als weiße Frau hat man es schon schwer. Aber als Woman of Colour kommt man quasi nirgendwo rein – ob als Regisseurin oder als Schauspielerin.“
Es gibt mehr als Jungfrau und Hure
Zur Mittagspause ist das Publikum gut auf das Doppelte angewachsen. Bei Suppe und Eintopf wird rege diskutiert, Erfahrungen und Tipps werden ausgetauscht. Nach der Pause kommen mit Nora Abdel Maksoud und Suna Gürler zwei fachliche Hybride auf die Vortragsbühne: Beide sind als Schauspieler*innen und Regisseur*innen am Maxim Gorki Theater Berlin tätig. Mit dem Verve und Humor eines eingespielten Teams präsentieren die beiden ihr “Toolkit für dreidimensionale Frauenfiguren”. Denn charakterliche Mehrdimensionalität bei weiblichen Performances ist selten. Meistens bedienen sich Regisseur*innen aus dem Repertoire Jungfrau, Hure, oder Mutter. Gemeinsam haben alle Figuren, dass sie sich über ihre Sexualität und ihr Verhältnis zum Mann definieren. Als Handlungsoption scheint es für Frauenrollen außerdem genau zwei zu geben: Lieben und Heiraten in der Komödie oder Lieben und Sterben in der Tragödie. Wirklich viel dazwischen gibt es nicht. Und dass Frauen Männerfiguren spielen, die großen, tragenden, wie Hamlet oder Mephisto, kommt quasi nicht vor. Zu unüberwindbar scheint das Geschlecht auf der Bühne. Damit die Frauenfiguren die auftauchen wenigstens mehr als eine Eigenschaft besitzen, empfehlen Nora und Suna beim Schreiben von Stücken ein paar Mechanismen des Hinterfragens: Kann ich die Rolle auch mit einem Mann besetzen, obwohl eine Frau im Skript vorgeschlagen wird und andersherum? Definiert sich die Frauenrolle über mehr, als ihre Sexualität? Hat sie beispielsweise einen Job und redet sie über etwas anderes, als Männer?
Und noch ein Tipp: Nur, weil mal eine unsympathische Frau auf der Bühne zu sehen ist, geht es nicht gleich um Hardcore-Feminismus, wie ein Kritiker wohl in ein Stück von Nora Abdel Maksoud hineingelesen hat. Frauen sind nun mal mehr als nur nette, dauerlächelnden Wesen.
Von Nora kommen noch ganz konkrete Ratschläge an die anwesenden Schauspieler*innen: „Wenn ein Regisseur dir bei der Probe sagt, du sollst dich ausziehen – ist das dann wirklich notwendig für die Entwicklung des Stückes oder riecht das ganz streng nach Alt-Herren-Phantasie?“ Viele der Anwesenden sind dankbar für die Tipps und das Empowerment der Regisseur*innen. Immer deutlicher wird: Hier geht es nicht nur um Performances auf der Bühne, sondern um konkrete Lebensrealitäten, die weit über das Berufsfeld hinausgehen. Nur, dass sie im Theater, wo traditionell eine krasse Hierarchie herrscht, umso augenscheinlicher werden.
Lasst uns einfach sein (wie wir sind)
Eine weitere Facette des Diskurses um Geschlechtergerechtigkeit bringen abschließend die Autorin und Regisseurin Sophia Hembeck und das Kollektiv Frauen&Fiktion, auf´s Tapet. Hembeck studiert an der UdK Szenisches Schreiben und hat dabei ein höchst amüsantes Stück geschrieben und inszeniert. Es dreht sich um die Frage, warum der bedeutende Regisseur René Pollesch die so unbedeutende, wie ihm völlig unbekannte, Freundin von Hembeck auf Twitter blockiert. Nur mit einer Zigarette bestückt imitiert diese dann den bekannten Theaterregisseur, wie er jungen Studierenden Twitter erklärt. Dabei beweist Hembeck auf humorvolle Art, dass eine Zigarette und die richtige Attitüde ausreichen, um einen Mann, und dazu noch einen sehr bekannten, zu spielen. Auch als junge Frau. Hembeck erzählt außerdem von ihren Erfahrungen im Studiengang Szenischen Schreiben und wie sie sich drei mal überlegt, ob sie einen persönlichen Text vorlesen soll, weil dann wieder ein Kommilitone meint, diese emotionale Frauenlyrik nerve. Die Autorin spricht dabei ein Dilemma an, was den meisten Frauen bekannt sein dürfte: Sprechen wir über Emotionen, sind wir verständnisvoll oder schlicht freundlich, wird das als mangelnde Stärke und fehlender Biss ausgelegt und oft als Grundlage herangezogen, wieso wir für diesen oder jenen Job nicht geeignet sind. Darauf hat Hembeck eine klare Antwort: Fuck. This. Shit. Oder: „Lasst die Frauen wütend sein, lasst sie schreien, lasst sie hysterisch werden bis die Leute kapiert haben, dass ihre Wut Gewalt hat. Dass ihre Stimme Kraft hat. Lasst sie sanft sein und weinen, lasst sie nach jemandem schmachten, lasst sie verletzlich bekennen, dass sie lieben. Dass ihre Gefühle relevant sind. Legitim. Lasst sie rational und nüchtern betrachten. Klug sein und abwägen. Lasst sie schön sein. Und kaltblütig. Und irrelevant. Und mächtig. Und dumm. Und hässlich. Und widerwärtig. Und reizlos. Und freudig. Und neugierig. Aber lasst sie vor allem auf die Bühne und lasst sie. Lasst sie doch einfach so sein, wie sie sind.„
Und lasst uns lustvoll sein! Das thematisieren Eva Kessler und Anja Kerschkewicz vom Kollektiv Frauen&Fiktion. An der Schnittstelle zwischen Theorie und Theater erproben sie in ihren Performances verschiedene Formen des Frau Seins. In ihrem Stück „Lust“ stellen sie das weibliche Begehren in den Mittelpunkt und geben eine sinnliche Antwort auf die Frage, wie weibliche Körper dargestellt werden können, die begehren – anstatt nur begehrt zu werden. Was selten geschieht, denn die allermeiste Zeit dominiert der „male gaze“, der „männliche Blick“ auf die Welt. In diesem sind Frauen die passiven, begehrenswerten Geschöpfe, die darauf warten erobert zu werden. Die Herausforderung des Kollektivs bestand darin, genau diese Sichtweise zu brechen: Wie stellt man überhaupt einen weiblichen Körper, weibliche Lust, dar, ohne den omnipräsenten „male gaze“ zu bedienen, der auch unsere Sehgewohnheiten bestimmt? Das Projekt war nicht nur inhaltliche eine Herausforderung, auch die Produktion sollte sich als schwierig erweisen, denn auf die Förderanträge kam die Antwort, dass das Thema ja jetzt wirklich nicht mehr aktuell sei. Dabei sind, wie einige Stimmen aus dem Publikum bestätigen, Stücke über die weibliche Lust mehr als rar gesät.
Am Ende der sechs Stunden ist der Raum bis in die letzte Stuhlreihe und darüber hinaus gefüllt. Jede der Vortragenden hat auf ihre Art und Weise sichtbar gemacht, worum es bei dem Geschlechterdiskurs geht: Um das Recht auf Chancengleichheit, auf mehrdimensionale Repräsentation und auf Deutungshoheit darüber, was Frau-Sein in all seinen Facetten bedeutet.